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Party bei Oliver

Open Production & Assembling

Eine Fallstudie zur Digitalen Transformation

Prof. Dr. Heinrich Fendt, UAS Flensburg, Mai 2010

Gestern war ich zur Party bei Oliver. Ohne erkennbaren Grund hatte er vor zwei Wochen eingeladen, um "eine Geburt zu feiern". Das Ganze sollte an einem Freitag um 11 Uhr los und bis in die Puppen gehen. "Kommen könne man aber, wann man wolle", war in der Einladung zu lesen. Ich hatte keine Ahnung, was das werden sollte, ist Oliver doch nicht verheiratet und von glücklichen Umständen seiner Freundin war mir auch nichts bekannt. Doch Spontanität und Verrücktheiten sind meinem Freund keineswegs fremd. Schon allein getrieben von Neugier warf ich mich am besagten Freitag in guten Zwirn und fuhr direkt von der Arbeit am frühen Nachmittag zu ihm. Dafür hatte ich mir extra einen halben Tag frei genommen.

Als ich in seine Hofeinfahrt einbog, sah ich schon eine größere Anzahl mir wohl bekannter Karossen und von meinen Freunden liebevoll bezeichneter "Mopeds". "Na prima", dachte ich, "da geht ja echt was ab." Ich querte das Anwesen gleich in Richtung Garten, da sich dort gut hörbar eine gewaltige Kulisse aufgebaut hatte und treffsicher den Weg zum Epizentrum der Fete wies. In der Gartenmitte stand dann auch ein gewaltiges weißes Zelt mit einem umlaufenden Schriftzug "PORSCHE ... born with family & friends". Einige der Partygäste standen im Garten in den unvermeidlichen Kleingruppen zusammen, andere befanden sich ganz offensichtlich im Zelt. Auf der Suche nach dem Gastgeber schwenkte ich zunächst in Richtung der textilen Kathedrale und mit dem Eintritt stand ich direkt vor einer großen Kinoleinwand. Dort versammelte sich ein Großteil der erkennbar überaus vergnügten Gäste, die sich angeregt unterhielten und köstlich amüsierten. Es waren aber wohl weniger die Musik oder die Gespräche, sondern vielmehr etwas auf der Leinwand, das für die gute Laune sorgte. Der Grund für den kollektiven Spaß erschloss sich mir allerdings nicht so recht, sah ich auf der Leinwand doch nur die Szenerie einer Fabrikhalle, in der ganz offensichtlich Autokarosserien montiert wurden.

Eine Automarke war für mich nicht erkennbar, da auf der Leinwand nur eine gerade zusammengefügte Baugruppe aus verschiedenen Blechteilen zu sehen war. Die Schweißroboter jagten in Höchstgeschwindigkeit an den Blechrändern entlang und setzten präzise eine Unzahl von blitzenden Schweißpunkten. Dann konnte ich sehen, wie einer der Laser-Roboter das Datum, die aktuelle Uhrzeit sowie den Vornamen "Oliver" in ein Bodenblech brannte. Die Montagehalle sah für mich unerwartet aufgeräumt, sauber und irgendwie gestylt aus, so dass das Ganze mehr einem futuristischen Operationssaal als einer Autofabrik glich. Plötzlich ging ein schrilles Kreischen durch die Menge, als - just in diesem Augenblick - ein Roboter ein gewölbtes Karosserieteil in einem eleganten Schwung auf das Bodenblech drückte und es dort mit wenigen Schweißpunkten anheftete. Zwar wurde mir nicht so recht klar, wodurch die allgemeine Heiterkeit ausgelöst wurde, doch musste es irgendetwas mit dem Roboter zu tun haben. "Hallo Dirk, super dass Du gekommen bist", hörte ich eine Stimme hinter mir sagen. Es war unverkennbar Oliver. Mit einer Drehung umarmte ich ihn und dankte artig für die Einladung. Auch drückte ich ihm eine Flasche Fleur du Printemps vom Cave de Cleebourg in die Hand. Doch noch im selben Augenblick packte er mich an den Schultern und drehte mich mit einem Ruck in Richtung Leinwand. Er zeigte auf ein großformatig zu sehendes Karosseriefragment. "Das ist er, ober besser, das wird er - mein neuer 911er".

Es dauerte eine gefühlte Minute bis ich wirklich begriff, was da oben vor sich ging. "Du willst mir doch nicht erzählen, dass wir gerade die Fertigung deines neuen Autos erleben." "Ja klar, was sonst, wir sind live vor Ort, mitten im Geschehen. Amüsiere Dich!" ... und schon war er wieder weg. "Na, das ist ja ein Ding", dachte ich, "live vor Ort bei Porsche...in Zuffenhausen?". So im Nachhinein muss ich sagen, dass es ganz großes Tennis war. Olivers Familie und deren beste Freunde waren nicht nur über diverse steuerbare Web-Kameras mitten im Geschehen der Montagestraße, sondern konnten sogar den einen oder anderen Montageroboter vom Zelt aus steuern.

So konnte ich selbst mit allergrößtem Vergnügen einem Roboter helfen, den Kofferraumdeckel zu montieren, während sich der Gastgeber das Lackieren seines automobilen Traums natürlich nicht aus der Hand nehmen ließ. Er saß am Joy-stick - begeistert wie ein kleiner Junge - und führte den Lackierroboter über das blanke Blech, wobei er nach gründlicher Grundierung den Metallic-Farbton anhand einer Farbpallette vom Zelt aus wählen und nach seinen Vorstellungen mittels virtueller Probelackierungen feinjustieren konnte. So blieb ihm bis zur letzten Sekunde Zeit, sich über seine Wunschfarbe klar zu werden. Farbschicht für Farbschicht kreischten sich die Gäste in Ekstase und feuerten Oliver zur künstlerischen Höchstform an. Das Finish mit Klarlack verlieh der Karosserie schließlich endgültigen Schutz und Brillanz. Es war unglaublich authentisch und für alle seine Freunde wunderschön mit anzusehen. Nach und nach nahm sein Traumauto Gestalt an. Die Montage des Cockpits sowie die eigentliche Hochzeit - die Verbindung von Motor, Getriebe und Fahrwerk mit der Karosserie - war noch einmal ein besonderes Party-Highlight.

Die Champagnerkorken knallten, eine Laserschau malte bizarre Formen an die Zeltwände und mit "Born to be wild" intonierte der DJ die Inkarnation von Blech, Lack und geballter Motorleistung. Mit dem Antriebsstrang bekam das Blech schließlich Herz und Seele und wurde zum personalisierten Automobil. Gegen Abend - nach insgesamt etwa acht Stunden - war Olivers Traumwagenschon fast fertig. Da durften wir uns dann alle noch mit unseren Signaturen, kurzen Sprüchen sowie Grafiken über einen im Zelt montierten Touchscreen auf dem Sportwagen verewigen. Online ausgeführt wurde dies durch einen Laser, der unsere Kunstwerke in Faksimile direkt auf ein Edelstahlblech im Kofferraum des 911er übertrug und das Auto damit quasi signierte und unverwechselbar machte.

Auf meine Frage, wie denn in einer hochautomatisierten Serienmontage im Hause Porsche eine interaktive Individualisierung bewerkstelligt wird, antwortete eine der Hostessen mit einem Augenzwinkern: "Das Thema Prozessvariation hat sich bei uns konsequent bis in die Fertigungsbereiche hinein entwickelt." Ich nickte verständig und musste mir diese Aussage dann erst mal selbst verinnerlichen. Es war eine unglaubliche Stimmung, als in der Nacht der letzte Handgriff getan war, das Porsche Emblem seinen Platz auf der Haube fand und der neugeborene Sportwagen zum ersten Mal - von Oliver per Joystick gesteuert - aus eigener PS-strotzender Kraft auf den Rollenprüfstand fuhr. Dort beschleunigte der stolze Co-Produzent seinen Porsche auf 210 km/h. Zugleich wurden alle Funktionen des Fahrzeugs geprüft und getestet und - für uns alle sichtbar - entsprechend dokumentiert und zertifiziert. In wenigen Minuten wurden Werte von über 1.000 Parametern ermittelt und protokolliert. "Das ist Qualitätsarbeit zum Anfassen", hörte ich Dirk neben mir flüstern. "Ja, und dass wir den ganzen Montageprozess begleiten konnten, macht Qualität zum begreifbaren Erlebnis. Da kann man wirklich sehen und fühlen, was man bekommt."

Ab sofort stand das fertige Auto in Zuffenhausen zur Abholung bereit. Dazu wird Oliver mit seiner Frau morgen von einem Werkshubschrauber abgeholt. Zeitgleich komplettierte Porsche für Oliver einen individuellen Web-Zugang unter myPorsche.com, worunter sämtliche Fahrzeugdaten wie Stücklisten, Herstellernachweise für die verbauten Fahrzeugkomponenten, Ergebnisse kontinuierlicher Qualitäts-und Servicekontrollen usw. zum Abruf bereitgestellt sind. Es ist dies die kundenindividuelle Komplettdokumentation des Fahrzeugs inklusive einer Videodokumentation des individuellen Fertigungsprozesses. Darüber hinaus dient das Portal als Kommunikationsplattform mit dem Hersteller mit abgestuften Serviceangeboten über FAQs, themenspezifischen Chat-Räumen und Foren, einem Kummerkasten bis hin zu einem direkten VoIP-Zugang zum zuständigen Kundenbetreuer. Daneben sind Zugänge zu diversen Social Communities von Porsche-Fahrern eingerichtet. Im Servicebereich des Portals werden in den kommenden Jahren auch sämtliche Daten von Inspektionen mit allen erhobenen Servicedaten abgelegt, so dass sich eine lückenlose Historie der Betriebs-und Fahrzustände inklusive der Bewegungsdaten des Fahrzeugs ergeben wird. Die Geo-Daten können übrigens nur vom Fahrzeughalter selbst via VPN-Zugriff aus dem Bordcomputer gelesen und zu Auswertungszwecken an das Portal übertragen werden.

Was ich im Nachgang noch als sehr angenehm empfand, war die perfekte Organisation und das Catering des Porsche-Teams. Unaufdringlich sorgte es für einen höchst erlebnisreichen Tag mit einem köstlichen Buffet, erlesenen Getränken und einer professionellen Multimedia-Unterhaltung. Gegen 23.00 Uhr sah ich die Truppe mit ihren Cayennes sowie dem vollgeladenen Sattelschlepper auf der Rückfahrt nach Zuffenhausen noch um die Ecke biegen.

Ein harter Kern der Gäste feierte "die Geburt" allerdings noch bis zum Morgengrauen.

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Nachtrag .... 10 Jahre nach Veröffentlichung des Artikels (Mai 2010) ein zaghafter Anfang mit der MyPorsche-Funktion „Behind the Scenes“: Porsche Newsroom