Stromwende und Elektromobilität kommen in unserem Lande wahrlich nicht gut voran. Hilfreich können in solchen Situationen sog. Transformationsstories sein, wie sie in Unternehmen zur Restrukturierung von Organisationen gerne eingesetzt werden. Zeigen solche Stories doch bildhaft auf, wo aktuelle Schwachstellen liegen und welche Alternativen sich für überholte Strukturen und Prozesse anbieten. Das Ziel dabei ist, heutige Probleme, Defizite und Pfadabhängigkeiten zu benennen, sie ins Bewusstsein der Akteure sowie Betroffenen zu rufen und diese für Visionen der Erneuerung zu begeistern, sie ins Boot zu holen. Bevor jedoch schnelle Antworten gesucht werden, hier erst mal die Story rund um ein klassisches Problem der Elektrizitätswirtschaft, der Glättung von Stromnachfragespitzen.
In den letzten Jahren schüttete Volkswagen an seine Tarifmitarbeiter jährliche Boni zwischen 3.950 und 6.000 € aus. Soweit so gut. Man stelle sich jedoch einmal vor, jeder Mitarbeiter würde anstatt Barem als Erfolgsbeteiligung einen elektrisch angetriebenen E-Up! oder E-Golf bekommen. Und dies inklusive eines freien Zugangs zu bidirektionalen Ladestationen auf dem Werksgelände, wo allein an den deutschen VW-Standorten jeden Werktag weit über 30.000 Mitarbeiterautos parken. Dann ständen die Batterien der während der Arbeitszeit unbewegten Elektrofahrzeuge als gigantischer Stromspeicher zur Verfügung. Mit einer Kapazität von derzeit bis zu 1,1 Gigawattstunden [1] ließen sich in den Werken sowie der näheren industriellen Umgebung die täglich auftretenden Stromnachfragespitzen glätten. Volkswagen hätte also so etwas wie ein Spitzenlastkraftwerk vor der eigenen Haustür, das auf kürzestem Weg ganz ohne Leitungsverluste situativ angezapft werden kann. Da die täglichen Preisspannen für Strom allein an den Strombörsen durchaus erheblich sind (z.B. von 7,6 € bis 58,9 €/MWh am Mo, 06.03.2017 an der Epex Spot) [2] ließe sich durch den Kauf- und Verkauf elektrischer Energie (Stromhandel) auf Basis eines automatisierten Strom-Arbitrage-Managements ein blendendes Geschäft in Millionenhöhe machen. Damit aber beileibe nicht genug. Nachgeladen würden die Akkus der E-Autos in Zeiten günstiger Strompreise noch auf dem Firmenparkplatz, so dass der Mitarbeiter mit vollgeladenem Akku nachhause fährt. Abzüglich der auf Hin- und Rückfahrten verbrauchten Strommenge stünde die jeweils verbleibende Akku-Ladung via intelligentem Hausmanagementsystem dem häuslichen Eigenbedarf an elektrischer Energie zur Verfügung (V2H: Vehicle-to-Home). Bei einer Preisdifferenz zwischen privatem Stromtarif und den Niedrigstpreisen an den Strombörsen von konservativ gerechneten 0,20 €/Kilowattstunde brächte diese "Stromgabe des Arbeitgebers" den Mitarbeitern mindestens eine Halbierung ihrer jährlichen Stromrechnung [3]. In Summe ebenfalls ein Millionendeal. Für Volkswagen und Mitarbeiter eine Win-Win-Situation par excellence. Natürlich wäre auch umgekehrt denkbar, dass Mitarbeiter ihren häuslichen Nachtstrom mit zur Arbeit bringen (V2C: Vehicle-to-Company), doch ist dies bei den derzeit teuren Nachtstromtarifen für Private leider (noch) wenig lukrativ.
Neben den unmittelbaren ökonomischen Vorteilen stellten sich durch den Absatzschub an E-Autos aber auch Skalen- und Erfahrungseffekte beim Hersteller zugunsten einer wettbewerbsfähigen E-Auto-Produktion sowie der beabsichtigten Batteriezellenfertigung [4] ein. Das schleppendende Geschäft mit Elektrofahrzeugen könnte so befeuert werden. Auch bekämen die deutschen Autobauer die Chance, die Dt. Post AG - als dem mit ihrem Kleintransporter Streetscooter größten deutschen Elektroautohersteller - in die Schranken zu weisen [5]. Nicht zuletzt könnte aber auch die Bundesregierung aufatmen, ließe sich doch die massive Lobbyarbeit für die deutsche Automobil-Industrie in China zur Entschärfung der E-Auto-Quote zurückfahren [6] und zudem die bislang floppende Kaufprämie für E-Autos endlich beleben [7].
Auch wäre eine solche Vorzeigeaktion der Volkswagen AG ein ökologischer Paukenschlag über das emissionsfreie Elektrofahren hinaus. Die Weichen würden bundesweit endlich konsequent in Richtung einer Smart Grid-Lösung zur Glättung der Stromnachfrage gestellt, die umso wichtiger wird, je mehr volatiles Stromangebot aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen ins Netz gelangt. Sind in Deutschland derzeit etwa 40 Gigawattstunden - vor allem wassergestützte - Stromspeicher verfügbar, so ließe sich diese Kapazität mit rund 500.000 Elektrofahrzeugen bereits verdoppeln. Dass die Speicherung von Strom ein virulentes Thema ist und mit der Vision Elektromobilität unmittelbar verbunden, zeigen Fakten aus Schleswig Holstein, wo im Jahr 2015 zur Stabilisierung der Netze nahezu 3.000 Gigawattstunden Strom aus Windkraft im Wert von 295 Millionen Euro abgeregelt werden mussten (Tendenz steigend).
Wäre es also nicht eine vornehme Aufgabe für die deutschen Autobauer, von ihren Mitarbeiterparkplätzen aus ein positives Signal in Richtung E-Mobilität im
Smart-Grid-Verbund auszusenden und damit vielleicht sogar ein tragfähiges Geschäftsmodell einer dezentralen Elektrizitätswirtschaft zu entwickeln.
Da die großen Automobilkonzerne den Großteil ihres Strom- und Wärmebedarfs aus eigenen Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) beziehen, sind sie
ohnehin schon bedeutende Player im Energiegeschäft. Aber gerade deshalb ist ihnen die Problematik einer ungepufferten Stromnachfrage hinreichend bekannt.
Denkt man dieses Szenario für alle Mitarbeiterparkplätze insbesondere der personalintensiven Unternehmen in Deutschland, eröffnet sich eine spannende Vision
für ein zeitgemäßes Stromwende- und E-Mobilitätsmanagement, das mit einem steigenden Anteil der erneuerbaren Energien verstärkt nach systemoptimierenden
Lösungsansätzen verlangt.
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[1] Gerechnet auf Basis einer Akku-Kapazität von 36 kWh (analog E-Golf).
[2] http://www.epexspot.com/de/marktdaten/intradayauktion/quarter-auction-table/2017-03-04/DE.
[3] Die "Stromgabe" wäre als Lohnanateil und damit geldwerter Vorteil allerdings zu versteuern.
[4] Vgl. Wirtschaftswoche vom 21.02.2017, http://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/elektromobilitaet-vw-prueft-massenfertigung-von-batteriezellen/19421246.html; Merkur vom 12.03.2017, https://www.merkur.de/wirtschaft/vw-steigt-in-batteriezellforschung-ein-zr-7671521.html.
[5] Hierzu Handelsblatt, Kampfansage an die Autoindustrie, Handelsblatt vom 12.4.2017, S. 22-23.
[6] Vgl. Handelsblatt vom 27.02.2017, S. 4-5.
[7] Vgl. Wirtschaftswoche vom 2.1.2017, http://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/praemie-fuer-elektroautos-floppt-nur-9000-antraege-fuer-e-auto-kaufpraemie/19199094.html.
Nachtrag vom 16.02.2019 … und sie bewegt sich doch:
VW-Chef verordnet Managern Elektroautos