Bereits in den 60er Jahren beschäftigte sich Hans Marschall, Maschinenbautechniker bei der Fa. Xaver
Fendt & Co. in Marktoberdorf, mit der Idee stufenloser hydrostatischer Traktorengetriebe, wobei er sich stets
Vorbehalten aus der Fachwelt sowie hausinternen Bedenken und Widerständen gegenüber sah. So wurden insbesondere die
Stabilität des Wirkungsgradverlaufs über einen genügend großen Regelbereich,
ein unausgewogenes Leistungsgewicht sowie eine übermäßige Geräuschentwicklung als Problem gesehen.
Doch Marschall kämpfte gegen alle diese Einwände unbeirrt an und präsentierte 1973 ein technisch anspruchsvolles
Konzept eines stufenlosen hydrostatisch-mechanischen Leistungsverzweigungsantriebes, das am 13.07.1973
von der Firma Xaver Fendt & Co. zum Patent angemeldet wurde [DE 2335629].
Auf die Patentierung folgten Jahre langwieriger Versuche mit diversen Getriebevarianten (firmeninterne Bezeichnung: TriStat) bis Marschall zum
Jahreswechsel 1981/82 schließlich einen Prototyp liefern konnte, der auch für viele der Kritiker „überraschend gut funktionierte“. Dieses Getriebe
war auf Basis einer Schwenkpumpe und zweier Schwenkmotoren aufgebaut, die von Marschall technisch so verändert und angeordnet wurden, dass sie im Neutralzustand praktisch
ohne Reibungsverlust liefen. Für das Gesamtgetriebe ergaben sich dadurch - trotz des hohen hydrostatischen
Leistungsanteils - beeindruckende Wirkungsgrade. Im direkten Leistungsvergleich mit einem Favorit 615 LS (FWA 285 S) zeigte der Antrieb seine ganze Überlegenheit,
belegt durch ein im Rahmen weiterer Prüfstandversuche erstelltes Zugkraftvergleichsdiagramm [1].
Die Wirkungsgrade in den Fahrstufen 1 und 2 mit Fahrgeschwindigkeiten von 0 bis 36 km/h lagen stabil zwischen 86% und 87%. Diese Leistungsdaten wurden damals als geradezu
spektakulär empfunden.
Auch wird erzählt, dass der auf 300 PS ausgelegte Prüfstand in der Fendtschen Versuchsabteilung dem Leistungsvolumen des Getriebes nicht mehr gewachsen war und
"heiß" lief. Doch selbst diese überaus ermutigenden Testergebnisse führten nicht zu der von Marschall erhofften Aufnahme des Antriebs in den
Entwicklungsplan der Firma. Die im Hause X. Fendt für die Getriebeentwicklung verantwortlichen Abteilungsleiter
waren von Marschalls Konzept nicht zu überzeugen und setzten andere Prioritäten (P7-Getriebe, 3500er ZF-Getriebe).
Auch übten sie ihren fachlichen Einfluss auf Dr. Hermann Fendt aus, so dass der Prototyp des ursprünglich für die Favorit-Reihe bis 300PS
vorgesehenen TriStat-Getriebes schließlich im Keller der Entwicklungsabteilung verschwand.
Marschall verfolgte sein visionäres Konzept jedoch beharrlich weiter und kämpfte um Anerkennung und Unterstützung seiner Vorgesetzten.
So versuchte er schon 1980 über Dipl.-Kfm. Peter Fendt, dem ältesten Sohn von Dr. Hermann Fendt, Einfluss auf dessen
Vater zu nehmen, um eine Aufnahme seines Getriebes in den offiziellen Entwicklungsplan zu erreichen. Dies wurde von
Dr. Hermann Fendt jedoch energisch abgelehnt. Zunächst sollte die Farmer 300er Serie Vorrang in der Entwicklung haben.
Als sich 1981 die Gebrüder Fendt aus der Geschäftsleitung zurückzogen, ließ der neu installierte Vorsitzende,
Dr. Ahrens, ein Dossier anfertigen, das ausführlich darlegte, weshalb das TriStat-Getriebe
im Hause X. Fendt keine Zukunft haben konnte.
1986 holte Peter Fendt, damals Geschäftsführer der Fa. Schlang & Reichart (S&R), mit
Christian Rummel einen jungen Entwicklungsingenieur der Fa. X. Fendt als Vertriebsleiter und Prokuristen zu sich in die Firma. Da Rummel die Verhältnisse bei Fendt
und auch die Blockadehaltung der FuE-Verantwortlichen gegenüber dem innovativen TriStat aus eigenem
Erleben bestens kannte, reifte bei S&R schnell der Gedanke, das TriStat-Getriebe zusammen mit Marschall zur Serienreife zu
führen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch aufgrund der unzureichenden finanziellen Mittel sowie des Risikos einer späteren
Alleinvermarktung. Zudem versagte die Fa. X. Fendt jegliche Unterstützung, um auf deren Prüfständen
weitere Versuche durchführen zu können. So brachte Rummel einen gesundheitlich bereits schwer
angeschlagenen Marschall mit Prof. Dr. Heinrich Fendt zusammen, der zu dieser Zeit als Pionier
der Strategischen Patentanalyse,
eines Data-Mining-Werkzeugs zur Früherkennung technischer Entwicklungsmuster und –trends, galt. Prof. Fendt steht mit der Schlepper-Dynastie
zwar in verwandtschaftlicher Beziehung, hatte mit der Fa. X. Fendt sonst jedoch keine weiteren Berührungen.
Aufgrund seiner mit zahlreichen Veröffentlichungen zur technischen Trendforschung [2]
belegten Reputation war er für Marschall jedoch der lang ersehnte „Türöffner“ bei dessen Onkel Hermann Fendt.
Am 13. November 1986 führte Prof. Fendt mit Hans Marschall ein längeres Gespräch über
den Entwicklungsstand des Getriebes. Marschall schilderte darin auch ausführlich das Widerstandssystem im Hause
Fendt sowie das Geflecht von Partikularinteressen, in dem er seine Idee gefangen sah: Es war das Bollwerk,
das es zu überwinden galt.
Marschall stellte Prof. Fendt verschiedene Unterlagen für eigene Recherchen zur
Verfügung. Im Rahmen von Patent- und Potenzialanalysen zu hydrostatisch-mechanischen
Antrieben fand dieser das Entwicklungs- und Verwertungspotenzial bestätigt, das Marschall und Rummel
bereits angedeutet hatten. Diese Erkenntnisse teilte Prof. Fendt seinem Onkel November 1986 mit und weckte damit
dessen Interesse sowie die Bereitschaft zu vertiefenden Gesprächen, die dann während der Weihnachtstage 1986 stattfanden.
Dabei legte Prof. Fendt seinem Onkel die Wiederaufnahme der Entwicklungsarbeiten am TriStat-Getriebe nahe, obwohl er dessen ablehnende Haltung
zu diesem Projekt kannte. Doch offensichtlich konnte er überzeugen, denn nur kurze Zeit nach dem letzten Gespräch am Neujahrstag 1987 wurde der TriStat aus
seinem langjährigen Dornröschenschlaf erweckt. Die vom damaligen Entwicklungschef, Professor Stroppel, bereits eingeleitete Aufgabe des Patents -
wegen fälliger Gebühren in Höhe von DM 2.000 ! - konnte Dr. Hermann Fendt noch rechtzeitig verhindern und auch die verantwortlichen Entwickler
gaben ihre langjährige Blockadehaltung auf. Mit der Intervention von Dr. Hermann Fendt war der entscheidende Impuls für die Weiterentwicklung des
Marschallgetriebes bis zur Serienreife gesetzt!
Das TriStat-Projekt wurde zunächst an Marschall übergeben, der jedoch 53-jährig im Jahr 1989 verstarb, so dass er sein Lebenswerk selbst nicht mehr vollenden konnte.
Mit der Reaktivierung
seiner Konzeptidee vollzog die Firma X. Fendt jedoch eine Kehrtwende. Stand bis dahin noch die Entwicklung von lastschaltbaren
Stufengetrieben mit kaum mehr handhabbaren 48 Vor- und Rückwärtsgängen im Vordergrund Fendtscher
FuE-Aktivitäten, verlagerte sich der Schwerpunkt zu Beginn der 90er Jahre konsequent in Richtung stufenloser
hydrostatisch-mechanischer Leistungsverzweigungsgetriebe ohne zusätzliche Schaltstufen. Dabei setzten nicht
nur die ersten Arbeiten von Reisch, Heindl und Meyerle auf der Konzeptidee von Marschall auf.
Nach der Neuausrichtung der Getriebeaktivitäten in den Jahren 1987/88 und dem sich abzeichnenden Durchbruch des hydrostatischen Fahrantriebs
sonnten sich schnell viele Beteiligte, Unbeteiligte, aber auch die ehemals hartnäckigen Bremser und Blockierer im Glanz des
Erfolges. Und dies lange bevor Hans Marschall als der maßgebende Erfinder und visionäre Kopf in Verlautbarungen des Hauses Fendt Erwähnung fand.
Erst nach über 30 Jahren! seit Patentanmeldung war dann schließlich im Fendt
Programm 2007 zu lesen: „Die Idee zu einem stufenlosen Antrieb mit Leistungsverzweigung gehen weit zurück.
Seiner Zeit weit voraus, beschäftigte sich der Fendt-Entwicklungsingenieur Hans Marschall bereits in den 70er
Jahren mit den ersten Konzeptideen. 1988 wurde dann die Entscheidung für die Entwicklung zur Serienreife getroffen“.
Nicht erwähnt wird, dass Marschall seiner Idee seine Gesundheit und wohl auch sein Leben geopfert hat. Ohne das
Engagement und die unbändige Beharrlichkeit von Hans Marschall und ohne das finale Zutun von Professor Dr. Fendt
hätte es im Hause Fendt vermutlich nie ein Variogetriebe gegeben.
_________________
Nachtrag
Auszug aus: Stufenlos in eine neue Generation, Zum 20. Geburtstag des Variogetriebes, Fendt Focus, Jan. 2017, S. 44-51
(https://www.fendt.com/de/genevaassets/livelink/453469-focus-01-2017-de-web.pdf)
Jubiläum für ein Erfolgsmodell
Wenn dieser Tage [Jan 2017] das 250.000ste Fendt Variogetriebe die Produktionshallen in Marktoberdorf verlassen wird, zünden nicht nur die Fendt Mitarbeiter die Geburtstagskerzen an.
Nach gut zwanzig Jahren seit der Vorstellung des ersten Traktors mit stufenlosem Variogetriebe ist nun die Viertelmillion voll.
Großes Glück
Ein Grund zu feiern, findet auch Getriebe-Entwickler Richard Heindl. Von Beginn an hat der Ingenieur an den Erfolg dieses variablen Antriebs geglaubt, der Schaltvorgänge
überflüssig und die Arbeit des Landwirts leichter macht. Heindls Berufsleben wäre ohne die Auseinandersetzung mit dem Getriebebau jedenfalls nicht vorstellbar. Der Ingenieur
lacht: „Ich hatte das große Glück, über 30 Jahre lang an der Entwicklung und Fortschreibung der Vario-Idee mitwirken zu können.“ Heute bauen die Kollegen auf den Erfahrungsschatz
des Getriebe-Experten. Richard Heindl erinnert sich, wie er Mitte der 80er Jahre als Neuling in das Entwicklungsteam um Hans Marschall gestoßen war. Hans Marschall, der 1989
verstarb, galt damals als Vordenker des stufenlosen, hydrostatisch-leistungsverzweigten Getriebes. „Alle nachfolgenden Entwicklungen haben auf seiner Grundidee aufgebaut“,
erzählt Heindl, der seinen Arbeitsplatz damals schräg gegenüber von Marschalls Schreibtisch hatte. „Wir alle bei Fendt haben Pionierarbeit geleistet.“
Faszinierende Idee
Denn die Vorbehalte waren groß und das Marktumfeld von Krisen geschüttelt. Dennoch investierte Fendt in eine gleichermaßen zukunftsweisende wie komplexe Innovation.
Herausforderungen für die Fendt Getriebeentwickler gab es viele: Die Fahrzeugelektronik war Anfang der 90er Jahre noch in den Kinderschuhen und dennoch war klar, dass
Steuerung und Bedienung nicht mehr mechanisch, sondern zukünftig elektronisch geregelt würden. Der klassische Schalthebel würde bald ausgedient haben. .....