Prof. Dr. Heinrich Fendt Strategische Patentanalyse Der Kampf um technische Führerschaft ist spürbar härter geworden, so dass an die Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit von Unternehmen hohe Anforderungen zu stellen sind. Blitzschnelles Reagieren und erfolgreiches Agieren auf Veränderungen setzen aber frühe und qualitativ hochwertige Informationen über den technischen Wandel voraus. Der Informationsvorsprung ist mehr denn je entscheidender Erfolgsfaktor. Mit geradezu seismographischen Fähigkeiten sind die leisesten Bewegungen in einem turbulenten technischen Umfeld der angestammten Betätigungsfelder frühzeitig wahrzunehmen, um genügend Zeit für aktives (und nicht reaktives) Handeln zu gewinnen: Keine leichte Aufgabe angesichts der Diskontinuitäten und Strukturbrüche, die Technikfelder begleiten und Entwicklungslinien oft jäh abreißen lassen. Hier können technische Früherkennungssysteme Hilfe und Unterstützung anbieten. Solche Informationssysteme haben die Aufgabe, relevante Veränderungen bereits in einem sehr frühen Stadium zu identifizieren, mögliche Konsequenzen abzuschätzen und auf die sich ergebenden Handlungsbedarfe aufmerksam zu machen. Praktische Erfahrungen belegen, dass solche Früherkennungssysteme nicht nur ihre Funktion als Radar zur Ortung kleinster Veränderungen im Unternehmens- und Wettbewerbsumfeld hervorragend erfüllen, sondern zudem ein Klima der Aufmerksamkeit, des flexiblen Engagements und der ständigen Innovationsbereitschaft sowohl in der Unternehmensleitung als auch bei den Mitarbeitern fördern. Wertvolle Aufklärungsarbeit leisten dabei gerade die modernen Methoden der strategischen Patentrecherche und Patentanalyse. Vor dem Hintergrund weltweit zunehmender Patentveröffentlichungsraten sowie wachsender technischer Komplexität gewinnen diese Instrumente immer mehr an Bedeutung. Veröffentlichungen zum Thema Strategische Patentanalyse u.a. in: Blick in die Zukunft, Wirtschaftswoche, 7/1983, S. 40-44 Technische Trends rechtzeitig erkennen - Blicke hinter die Kulissen von F&E, Harvard Manager, 4/1988, S.72-80 Strategische Patentanalyse am Beispiel technischer Spitzenleistungen ostdeutscher Betriebe und Erfinder, Zeitschrift für Planung (1992) 3:185-208 weitere Beiträge in: Handbuch der modernen Datenverarbeitung (HMD), Industriemagazin, div. Fachbücher
1. Früherkennung: Ein unternehmerisches Muss 2. Patentinformationen als Frühindikatoren technisch-wissenschaftlicher Entwicklungen 3. Methodik und Softwareanforderungen 4. Konkrete Anwendungsbeispiele 1. Früherkennung: Ein unternehmerisches MussDer Wettbewerb von morgen wird ein Wettbewerb der Technologien sein. Diese 1983 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung skizzierte Zukunftsvision wurde durch die Entwicklungen der letzten Jahre gleichermaßen bestätigt wie aktualisiert. In vielen Branchen hat sich die wachsende Bedeutung der Technik manifestiert und ist ins Bewusstsein von Managern und Politikern gerückt. Auch in den kommenden Jahren wird die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik ganz wesentlich davon abhängen, inwieweit es gelingt, bei zukunftsträchtigen Produkten technische und qualitative Vorteile sowie überlegene Problemlösungen zu erzielen (BMFT). Unternehmen geraten dabei in einen Ausleseprozess, in dem vor allem die Verfügbarkeit an Zeit den Handlungsspielraum spürbar einengt. Nicht nur die Bereitstellung und der Einsatz fortschrittlichster Technik ist unabdingbare Erfolgsvoraussetzung, sondern zunehmend auch die Schnelligkeit, mit der technische Neuerungen aufgegriffen und in marktgerechte Produkte umgesetzt werden. Der Faktor Zeit bekommt eine strategische Dimension und verlangt nach entsprechender Berücksichtigung bei der Entwicklung von Unternehmensstrategien. Die damit verbundenen organisatorischen Anpassungen sind von einem deutschen Manager plakativ als der Übergang vom Hightech-Management zum Highspeed-Management bezeichnet worden. Das Beispiel der von japanischen Unternehmen forcierten Hetze in den Märkten der optischen Speichersysteme ist dafür symptomatisch. Für die Vermarktung der Produkte bleibt oft zu wenig Zeit, um die hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen wieder einspielen zu können.Der Wettbewerb um technische Spitzenpositionen bietet Nachzüglern nur geringe Chancen und auch die in der Literatur überstrapazierte Nischenpolitik erweist sich oft nur als Lückenbüßer für verpasste Gelegenheiten im Ringen um technologischen Führungsanspruch. Unter diesen Wettbewerbsbedingungen sind bei Unternehmen Reaktionsfähigkeit und in zunehmendem Maße auch die Fähigkeit und Bereitschaft zur Übernahme einer aktiven Rolle bei der Produktentwicklung und -vermarktung gefragt. Schnelles Reagieren und erfolgreiches Agieren aber setzen frühe und qualitativ hochwertige Informationen über Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen sowie Klarheit und Einvernehmen bezüglich des zweckorientierten Informationsbedarfs voraus. Der Informationsvorsprung vor dem Wettbewerber ist mehr denn je der zentrale Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg. Mit geradezu seismographischer Empfindlichkeit und Aufmerksamkeit sind dabei im turbulenten technischen Umfeld der angestammten Betätigungsfelder die leisesten Bewegungen und Veränderungen rechtzeitig wahrzunehmen: Keine leichte Aufgabe angesichts der Diskontinuitäten und technischen Umbrüche, die Entwicklungslinien oft jäh abreißen lassen. Hier können Früherkennungssysteme in der Verbindung mit Online-Datenbanken Hilfe und Unterstützung anbieten. Solche Informationssysteme haben die Aufgabe, unternehmensrelevante Umfeldentwicklungen bereits in einem sehr frühen Stadium zu identifizieren, mögliche Konsequenzen abzuschätzen und auf die sich ergebenden Handlungsbedarfe aufmerksam zu machen. Gesucht werden dabei Antworten auf typische Fragestellungen wie:
2. Patentinformationen als Frühindikatoren technisch-wissenschaftlicher EntwicklungenEines der Beispiele von phänomenologischen Früherkennungsmethoden liefert die Systematische Patentanalyse, die den reichen Fundus nationaler und internationaler Patentschriften als Informationsquelle nutzt (vgl. Campbell 1979, Ashton et al. 1983, Fendt 1983, 1988, Faust 1987, Schmoch et al. 1988). Patente gewähren nicht nur das Ausschließlichkeitsrecht zur Anwendung, Herstellung und Vermarktung einer Erfindung, sondern liefern eine der umfangreichsten, aktuellsten und detailliertesten Quellen technischen Know-hows: Nach Schätzung von Fachleuten sind dort 85 bis 90 Prozent des gesamten veröffentlichten technischen Wissens gespeichert. Etwa 70 Prozent der in Patentschriften enthaltenen Informationen bleiben mindestens fünf Jahre exklusiv auf dieses Medium beschränkt und werden nicht an anderer Stelle publiziert. Bei der überwiegenden Anzahl der Anmeldungen von Erfindungen zum Patent kann davon ausgegangen werden, dassDa Patentanmeldungen die herausragenden Ergebnisse und Meilensteine von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten widerspiegeln, liegt es auf der Hand, dass der technische Fortschritt dort in einem relativ frühen Stadium erfasst und nach außen dokumentiert wird. Zwischen der Anmeldung der Erfindung zum Patent und der Markteinführung der entsprechenden Produktrealisationen liegen bis zu sieben Jahre, wobei das Tempo der Umsetzung von verschiedenen Faktoren, wie der Wichtigkeit der Erfindung, der Branche und der Unternehmensgröße abhängt (vgl. Häußer 1984). Patentschriften enthalten erste Hinweise auf neue, den Stand der Technik verändernde Entwicklungen, auf die Neuentstehung von Märkten sowie auf Veränderungen im Wettbewerb. Die ersten Signale völlig neuer Entwicklungen sind meist nur schwach, vage und unstrukturiert und damit zur treffsicheren Vorhersage von technischen Veränderungen wenig geeignet. In der Verstärkung liefern sie jedoch sichere und frühe Indizien für den technischen Wandel und Veränderungen im Wettbewerbsumfeld. So sind es Patentanmeldungen in deren zeitlicher Abfolge sich ein infolge technischer Durchbrüche ausgelöster Inventionsboom manifestiert, dessen Entwicklung nach dem bekannten Muster einer logistischen Funktion verläuft. Ein solches Ausbreitungsmuster von Erfindungen findet im Bereich der Supraleitung einen überzeugenden empirischen Befund (Bild 1). Bild 1: Schematischer Inventionsboom : Supraleitung Dort wurde eine Welle von Erfindungs- und Anmeldeaktivitäten im Gefolge der Erfindung von "warmen" Supraleitern registriert. Die Flut von Anmeldungen ist das äußere Zeichen einer weltweit ausgelösten Erfindungshysterie wie auch von gezielt platzierten Sperrpatenten im Sog einer bedeutenden Schlüsseltechnologie, wie sie eine technisch leicht handhabbare und ökonomisch vertretbare Supraleitfähigkeit von keramischen Materialien zweifellos darstellt. Noch befinden sich die "warmen" Supraleiter in einer frühen Innovationsphase, in der - bei zunehmender FuE-Produktivität - an weiteren Leistungsverbesserungen sowie an einer Kommerzialisierung der Basiserfindung gearbeitet wird. Zur wissenschaftlichen Fundierung der Ausbreitungs- und Diffusionscharakteristik von neuen Ideen wird unter anderem auf die Arbeiten von Kuhn (1967), Jantsch (1968), Dosi (1982) sowie Krampe und Reinhardt (1982) verwiesen. Ein Beispiel für die dynamische Entwicklung von Innovationen liefern auch die Erfindungen auf dem pharmazeutischen Gebiet der H2-Blocker (Bild 2). Die Anfang der siebziger Jahre gemachten Basisinventionen führten innerhalb dieses Technologiefeldes bis 1978 zu einer Verdreifachung der Patentaktivitäten. Die Flut an Publikationen in Fachzeitschriften über medizinische Anwendungen von H2-Blockern setzte zeitlich weit hinter den ersten Patentanmeldungen ein. Schließlich mündeten die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten unter anderem in dem überaus erfolgreichen pharmazeutischen Produkt "Tagamet" der US-amerikanischen Firma Smith, Kline and French. Das Magenmittel, das Ende der siebziger Jahre in den Markt eingeführt wurde, entwickelte sich mit jährlichen Wachstumsraten von über zwanzig Prozent zum meistverkauften Medikament der Welt und erzielte 1983 einen Jahresumsatz von 750 Millionen Dollar (vgl. Mullen et al. 1984). Die Patentanmeldungen zu H2-Blocker zeigen das für völlig neue Richtungen typische Phänomen eines Inventionsschwalls, der nach Erreichen von Aktivitätsspitzen rasch wieder abklingt. Der Verlauf der Melderaten korrespondiert dabei mit der physikalischen Ausschöpfung des Entwicklungspotentials neuer Techniken. Der prognostische Wert von Patenten und ihre Eignung als Früherkennungsindikatoren wird von Faust (1987) auf breiter empirischer Basis bestätigt.
Bild 2: Innovationsdynamik im Technikfeld der H2-Blocker(Quelle: Mullen et al. 1984) Lässt sich der Stand von Technologien im Innovations- und Marktzyklus anhand von Patentinformationen vergleichsweise präzise abschätzen, so bleiben die auslösenden Momente von Basiserfindungen meist völlig verborgen. Die bahnbrechenden Arbeiten von J. G. Bednorz und K. A. Müller in den IBM-Labors im schweizerischen Rüschlikon, die Supraleiter mit wesentlich höheren Sprungtemperaturen hervorbrachten, kündigten sich in den Patentämtern nicht an und kamen auch für die Fachwelt völlig überraschend. Selbst das unmittelbare Forschungsumfeld des Erfinders Bednorz lieferte weder Hinweise auf das Forschungsthema der keramischen Supraleiter noch gar auf einen bevorstehenden Durchbruch. Die patentierten Erfindungen des Nobelpreisträgers sind mit den folgenden Titeln registriert:
Das Beispiel aus den IBM-Forschungslabors zeigt, dass Patente zwar keine technischen Durchbrüche voran- kündigen, doch bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt Hinweise auf Veränderungen der Aktivitäten innerhalb von technischen Gebieten liefern. Zudem enthalten sie eine Reihe von Informationen über höchst relevante Zusammenhänge und Strukturen. Sie sind damit eine unverzichtbare Grundlage zur Analyse von technischen Veränderungen, geben sie doch den Blick hinter die Kulissen von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten frei. Die in der praktischen Anwendung von Systematischen Patentanalysen gesammelten Erfahrungen erlauben die Abgrenzung möglicher Einsatzgebiete. Dabei zeichnen sich die nachfolgend genannten Schwerpunkte ab: >> FRÜHERKENNUNGPatentinformationen liefern ein Spiegelbild der Leistungsfähigkeit von Unternehmen, Regionen und Volkswirtschaften. Alternativen von vergleichbarer Informationsqualität bieten sich gegenwärtig nicht an. So fehlt es den (jährlich publizierten) Analysen von FuE-Aufwendungen in Unternehmen und Ländern ebenso an Genauigkeit, Differenzierung und Aktualität wie den Statistiken über die Außenhandelsanteile bei "forschungsintensiven Waren" . Selbst der von Fachabteilungen repräsentierte Sachverstand liefert nicht immer gleichwertigen Ersatz (für Patentinformationen). Zwar wird dort der Fortschritt der Technik aufmerksam beobachtet, doch stößt die Wahrnehmung dieser Aufgabe zunehmend an Grenzen. Die Unternehmenspraxis sieht sich dabei vor allem folgenden Problemen gegenüber:
3. Methodik und SoftwareanforderungenJährlich werden weltweit mehr als eine Million Patentdokumente dem Informationspool der Patentämter neu hinzugefügt. Auch in Anbetracht dieser gewaltigen Informationsfülle ist der Zugang zu dem reichen Fundus technischer Erkenntnisse nicht versperrt. Die elektronische Aufbereitung von Patentdokumenten und die Bereitstellung in Datenbanken bilden die Voraussetzung für einen automatisierten Zugriff und eine systematische Einbeziehung von Patentinformationen im Rahmen betrieblicher Entscheidungsprozesse. Derzeit stehen weltweit etwa 60 Patentdatenbanken zur Verfügung, die sich jedoch im Umfang der abgedeckten Sachgebiete, Zeiträume und der angebotenen Informationsqualität zum Teil erheblich unterscheiden. Die für die Bundesrepublik derzeit wichtigsten Patentdatenbanken sind WPI/L, INPADOC, PATOS und PATDPA.Das Internationale Patentdokumentations-Centrum in Wien bietet mit INPADOC einen Dokumentenbestand von derzeit über 14 Millionen Schriften an, der wöchentlich um rund 20.000 Neuzugänge ergänzt wird und damit mehr als 95 Prozent der weltweit publizierten Patentliteratur umfasst. Die Datenbasis liefert die bibliographischen Angaben zu Patentschriften aus mehr als 50 Ländern, des Europäischen Patentamtes sowie der Weltorganisation für geistiges Eigentum (PCT-Anmeldungen). Die Daten reichen zum Teil zurück bis ins Jahr 1961. In der Datenbank WPI/WPIL von dem britischen Anbieter Derwent werden rund 8 Millionen Veröffentlichungen zu allen Sachgebieten bereitgestellt und wöchentlich um etwa 14.000 Einträge ergänzt. Die Datenbasis liefert die bibliographischen Angaben zu Patentschriften der 32 wichtigsten Länder einschließlich der Anmeldungen beim Europäischen Patentamt sowie der PCT-Anmeldungen. Derwent fasst die Anmeldungen zu sogenannten Patentfamilien zusammen und weist damit für jede Prioritätsanmeldung (Basisanmeldung) aus, zu welchen Auslandsanmeldungen (Äquivalente) sie geführt hat. Da äquivalente Anmeldungen an anderer Stelle nicht mehr erfasst werden, schließt die Datenbank Mehrfachnennungen von Inventionen bei der Suche zuverlässig aus. WPI/L wird in der Industrie viel verwendet, da der Hersteller zu jeder Anmeldung von technischen Fachleuten eine eigene Kurzfassung (Abstract) in englischer Sprache erstellen lässt. Diese "intelligenten" Abstracts tragen zur Objektivierung der Sachverhalte bei und verbessern die Effizienz der Suche nach Stichworten. Trotz des zusätzlichen Aufwands ist der Datenbestand etwa 20 Monate nach der Prioritätsanmeldung komplett. Die solide Datenbasis von Derwent hat sich in einer Reihe von Systematischen Patentanalysen bewährt und kann für diese Zwecke empfohlen werden. Auf deutsche und europäische Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen sind die Datenbanken PATOS von Bertelsmann mit rund einer Million Dokumenten und PATDPA, die Datenbank des Deutschen Patentamtes, mit derzeit rund 1.5 Millionen Dokumentationseinheiten spezialisiert. Aus Patentdatenbanken sind Anmelde-, Publikations- und Verfahrensstanddaten ab der ersten Hauptveröffentlichung abrufbar. Vertiefende Informationen zum Inhalt und Aufbau von Patentdatenbanken und deren Nutzungsmöglichkeiten werden bei Cuadra (1988) und Engelhardt (1988) gegeben. In Patentschriften dokumentierte Informationen sind überaus vielfältig und einer systematischen Analyse nur über Datenbanken zugänglich. Gegenstand der Analysen sind dabei weniger die technisch-inhaltlichen Aspekte einzelner Patentschriften, als vielmehr die durch sie gezeichneten Strukturen und Entwicklungen. Grundlegende technische Veränderungen und Entwicklungsmuster können über die Auswertung einer großen Anzahl von Patentveröffentlichungen zu abgegrenzten Technologiefeldern sichtbar gemacht werden. Die Ausprägungen des Einzeldokuments treten dabei zugunsten von Trend- und Durchschnittsaussagen in den Hintergrund. Als komprimierte Zeitreihen und Indikatoren erfüllen diese Informationen die Anforderungen an hierarchische Meldegrößen, die den Experten von Globalaussagen bis hin zum technischen Detail führen. Auch die regelmäßig veröffentlichten Patentstatistiken und Patentindikatoren verfolgen dieses Ziel, ohne dem Adressaten allerdings eine individuelle Überprüfung der offengelegten Phänomene oder eine detaillierte Analyse der die Veränderungen auslösenden Faktoren zu ermöglichen. Die Erläuterungen zu Patentstatistiken beschränken sich in der Regel auf die wesentlichen Trends und strukturellen Veränderungen und berücksichtigen weder die spezifische Situation von Unternehmen noch deren Wettbewerbsumfeld. Doch gerade dahingehend erwartet der Experte im Unternehmen weitere Antworten zum Abgleich seiner persönlichen Erklärungshypothesen mit den in Patenten gespeicherten Fakten. Dieser Frage-Antwort-Zyklus kann von Patentstatistiken nicht unterstützt werden, sondern verlangt nach interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten auf der Grundlage der recherchierten Patentdaten. Beispiele dieser individuellen Analysemöglichkeiten, die den spezifischen Gegebenheiten von Unternehmen Rechnung tragen, werden im Abschnitt 4 diskutiert.
(2) Die Analyse wird auf dem eigenen PC durchgeführt. Dies setzt voraus, dass die zu analysierende Patentdatenbasis sowie die Analysesoftware auf dem Rechner verfügbar sind. Statistische Online-Auswertungen der recherchierten Patentdaten über den Host-Rechner bieten nur wenige Datenbankanbieter an, wobei das französische Unternehmen Télésystèmes Questel derzeit über die wohl interessanteste Lösung verfügt. Neben der Möglichkeit, Suchstrategien einfach und dennoch exakt zu definieren, zeichnet sich der Statistikbefehl "MEMSORT" durch geringe Rechenzeiten aus. Mit wenigen Online-Befehlen können beliebige Untersuchungsobjekte statistisch aufbereitet werden. Das nachfolgende Beispiel zeigt dies für die Ermittlung der Rangfolge der Anmelder im Technikfeld der Supraleitfähigkeit (vgl. Koch, Fendt 1988): Ein exploratives und iteratives Vorgehen ermöglichen dagegen Patentanalysen auf dem eigenen Rechner, die ein breites Feld an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Derzeit werden die speziellen Anforderungen an die Software nur von maßgeschneiderten Programmpaketen erfüllt. Für Mikrorechneranwendungen sind dies zum Beispiel die Softwaresysteme PATSTAT (Patent Statistic) von Derwent und SYMPAT (Systematische Patentanalyse), ein vom Autor entwickeltes Analyseprogramm. Die dialogorientierten Mikrocomputerprogramme setzen ebenso wie die Online-Statistiken auf den Ergebnissen von Online-Patentrecherchen zu definierten Untersuchungsobjekten auf. Für die anschließende statistische Aufbereitung werden die Patentdaten im Down-Loading-Verfahren auf den Mikrorechner übertragen und in ein für die Auswertungssoftware verständliches Format gebracht. Zur Datenkonvertierung bietet SYMPAT Schnittstellen für die Patentdatenbanken WPI/L (über die Hosts Orbit, Questel und Dialog), INPADOC (STN), PATDPA (STN) und PATOS (BIS) an, während PATSTAT von Derwent nur die eigenen WPI/L-Daten verarbeiten kann. Die auf den Rechner geladenen Patentdaten werden auf Datenübertragungsfehler geprüft und können vom Anwender editiert und ggf. um zusätzliche Informationen ergänzt werden. Mit Bereitstellung der vorbereiteten Datenbasis setzt die Arbeit der Analyseprogramme ein. Strategisch relevante Informationen werden extrahiert, ABC-analytisch ausgewertet und in Form von Tabellen und Graphiken (patent mapping) bereitgestellt. Das standardisierte Auswertungsprofil von SYMPAT ist in Bild 2 aufgezeigt. Für vertiefende Analysen zu beliebigen Teilaspekten stehen entsprechende Programmodule bereit, so dass der Anwender die Art und Tiefe der aufbereiteten Informationen individuell festlegen kann. Hier gehen Mikrocomputerprogramme zur Patentanalyse einen entscheidenden Schritt über die deskriptiven Patentstatistiken hinaus: Dem Anwender stehen die recherchierten Daten in vollem Umfang zur Durchführung beliebiger Detailanalysen zur Verfügung. Gezielt geführte Dialoge liefern Antworten zu vertiefenden Fragen über Technologiefelder, Unternehmen, Erfinder usw. bis hin zum Einzelpatent oder den Querverbindungen zwischen den Clustern einzelner Schriften. Der Anwender kann damit die statistisch ermittelten Ergebnisse interaktiv einer kritischen Überprüfung unterziehen. Insbesondere gibt die Möglichkeit der Identifikation der auslösenden und treibenden Kräfte von Trends und neuen Entwicklungen Hilfestellung bei der Formulierung von Erklärungshypothesen, die über rein deskriptive Aussagen wesentlich hinausgehen.
Bild 2: Standardisiertes Analyseprofil von SYMPAT Der Ablauf Systematischer Patentanalysen ist in Bild 3 veranschaulicht.
Bild 3: Ablauf der Systematischen Patentanalyse mit SYMPAT 4. AnwendungsbeispieleComputergestützte Patentanalysen eröffnen differenzierte Einsichten in die strukturelle Entwicklung von Technologien sowie der anmeldenden Organisationen. Um einen Eindruck von der Anwendungsbreite zu vermitteln, sind nachfolgend Auszüge aus durchgeführten Analyseprojekten zu den Themen Optoelektronik, Optosensorik und Halbleiterspeicher beispielhaft wiedergegeben. Obwohl die Ausführungen allgemein gehalten sind, dürfte das Potential für spezifische und mehr ins Detail gehende Analysen erkennbar werden. Die ausgewählten Teilanalysen decken sich weitgehend mit dem voreingestellten Analyseprofil von SYMPAT (vgl. Bild 2).Patentaktivitäten Die Patentveröffentlichungen zu optischen Mess- und Prüfsensoren liefern Hinweise auf die derzeitige Innovationsdynamik bei optoelektronischen Bauelementen und Systemen (Bild 4).
Bild 4: Optosensorik: Entwicklung der Patentaktivität 1976-85 (Quelle: PATOS,WPI/L; Auswertung SYMPAT) In den Jahren 1978 bis 1982 führte eine kräftige Zunahme der im Deutschen Patentamt registrierten Erfinderaktivitäten etwa zu einer Verdoppelung der veröffentlichten Schriften. Seit 1982 ist die Innovationsrate allerdings rückläufig, was aber nur zum Teil auf Veränderungen in den Meldepolitiken der Anmelder zugunsten des Europäischen Patentamtes zurückzuführen ist. Rückgänge der Patentaktivitäten sind typisch für die späte Entwicklungsphase von Technologien. Die wesentlichen Fortschritte sind bereits erzielt, so dass bei abnehmender FuE-Produktivität zunehmend die Verbesserungsinnovationen das Bild bestimmen. Diese technische Saturierungsphase, in der wirkliche Neuerungen eher die Ausnahme sind, dürfte im Bereich der Optosensorik bereits erreicht sein: Eine Annahme, die auch von anderen Patentindikatoren gestützt wird. Meldemuster Etwa jede dritte Patentanmeldung in der Optosensorik kommt aus dem Ausland. Die Präsenz von Fremdländeransprüchen im eigenen Land liefert Hinweise auf Beschränkungen des freien Zugangs zum Binnenmarkt für Inländer. Eine hohe Auslandspräsenz in bestimmten Technologiebereichen bedeutet aber nicht nur, dass sich die einheimische Industrie den Binnenmarkt verstärkt über Lizenzen und Kooperationen öffnen muss, vielmehr wird aufgrund geringer oder fehlender ökonomischer Anreize auch die innovative Kraft eines Landes in diesen Bereichen erheblich gedämpft. Ein Mangel an Betätigungsanreizen insbesondere bei Schlüsseltechnologien kann sich für Unternehmen und ganze Volkswirtschaften ausgesprochen negativ auswirken, wie dies das Beispiel der Halbleiterspeicher für die Bundesrepublik belegt. Der Meldeanteil des Auslands beträgt bei Halbleiterspeichern fast neunzig Prozent, wobei das Gros der Anmeldungen auf Unternehmen aus Japan und die USA entfällt (Bild 5).
Bild 5: Halbleiterspeicher: Die 10 großen Anmelder (Quelle: PATDPA; Auswertung SYMPAT) Zwar kann die Outputleistung von Forschung und Entwicklung rein quantitativ über die Anmeldungen erfasst werden, doch lässt dies keine direkten
Rückschlüsse auf die Güte der Forschung und die Reichweite von Patenten zu. Der qualitative Aspekt indes kommt unter anderem mit dem Umfang der beantragten
Schutzrechte zum Ausdruck. Da Auslandsanmeldungen teuer sind, werden nur hochwertige und ökonomisch vielversprechende Inventionen flächendeckend in einer Vielzahl
von Ländern und Wirtschaftsräumen angemeldet. Der dadurch gesicherte Handlungsspielraum für künftige Geschäftsaktivitäten erstreckt sich
von möglichen Produktlieferungen über Lizenzvergaben bis hin zur Behinderung von potentiellen Wettbewerbern im Geltungsbereich der Schutzrechte. In der Anzahl
der benannten Länder spiegelt sich demnach die Erwartungshaltung der Anmelder in Bezug auf eine spätere technisch-ökonomische Verwertbarkeit von Innovationen
wider. Parallelanmeldungen von Erfindungen werden in verschiedenen Datenbanken (z.B. bei WPI/L) innerhalb von sogenannten Patentfamilien erfasst, woraus sich unmittelbar
erste Anhaltspunkte auf die Bedeutung der jeweiligen Prioritätsanmeldungen ergeben. In der Optoelektronik vereinigen die in Bild 6 zusammengestellten Erstschriften die
meisten Fremdländeransprüche auf sich und geben damit entsprechende wirtschaftliche Interessen der Anmelder und einen hohen Stellenwert der Inventionen zu
erkennen.
Bild 6: Optoelektronik: Meistgemeldete Patente - Basispatente (Quelle: WPI/L; Auswertung SYMPAT) Die Meldemuster von Patenten haben jedoch nicht nur einzelwirtschaftliche, sondern auch gesamtwirtschaftliche Bedeutung, insofern sie das Wettbewerbspotential und die Interessenslage deutscher Unternehmen im Zusammenhang mit ausländischen Zielmärkten offenlegen. Eine breite Internationalisierung nationaler Erfindungen bestätigt die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes und zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein der anmeldenden Unternehmen im Zusammenhang mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche auch außerhalb der eigenen Grenzen. Auf der Grundlage von Auslandsanmeldungen wird ein direkter Vergleich der technisch-ökonomischen Leistungsstärke von Unternehmen und Volkswirtschaften möglich. Die sich durch die vergleichsweise billigen Inlandsanmeldungen ergebenden Heimvorteile nationaler Anmelder in den heimischen Patentämtern können damit neutralisiert werden (Fendt 1983, Pavitt 1985). In diesem Zusammenhang kommt eine vom Bundesminister für Forschung und Technologie in Auftrag gegebene amerikanische Patentstudie (Narin, Olivastro 1987) zu dem ernüchternden Schluss, dass deutsche Erfinder Besonderes nur noch in Bereichen der Fertigungs- und Automobiltechnik, der Textiltechnik und in einzelnen Bereichen der Mechanik zu bieten hätten, während in den Hochtechnologiegebieten Elektronik, Kommunikations- und Computertechnik ein unübersehbarer Mangel an deutschen Patentaktivitäten auf Auslandsmärkten herrsche. Solche Bewertungen können mit Hilfe von Systematischen Patentanalysen bis hin zu detaillierten Unternehmens- und Erfinderprofilen konkretisiert werden (vgl. hierzu Patel, Pavitt 1988). Anmelder und Erfinder Einen ersten Einstieg in vertiefende Profile liefern Rangfolgen der registrierten Unternehmen und Erfinder, wie sie in Bild 7 beispielhaft für die 15 wichtigsten Patentanmelder im Bereich der Optosensorik ausgegeben sind.
Bild 7: Optosensorik: Patententwicklung bei Anmeldern (Quelle: PATOS,WPI/L; Auswertung SYMPAT) Die aktivsten Anmelder im Bereich der Optosensorik waren zwischen 1976 und 1985 die Gruppe der freien Erfinder sowie klein- und mittelständischen Unternehmer, die auf eine Firmennennung häufig verzichten. Ein mit rund 10 Prozent relativ hoher Anteil an privaten Anmeldern (PRIVATE) deutet einen geringen Komplexitätsgrad des Technologiefeldes sowie ein relativ geringes FuE-Risiko an. Bei der komplexen und risikoreichen Technik der Halbleiterspeicher liegt der Anteil privater Anmelder für den gleichen Zeitraum unter einem Prozent; der Wettbewerb in dieser Technik wird von großen Weltkonzernen bestimmt (vgl. Bild 5). Ein Einstieg in die Optosensorik kann dagegen auch für klein- und mittelständische Unternehmen durchaus interessant sein, zumal die dort anzutreffenden Wettbewerbsstrukturen und Marktkonzentrationen auch für die nächsten Jahre keinen harten Verdrängungswettbewerb erwarten lassen. Anhand von Anmelder- und Erfinderlisten kann die dynamische Entwicklung der Patentaktivitäten über den Analysezeitraum im Einzelnen verfolgt werden. Neueinsteiger und Aussteiger werden durch die Software ebenso automatisch herausgefiltert, wie eine trendanalytische Bewertung von Wachstums- bzw. Schrumpfungsprozessen durchgeführt wird. In Bild 8 sind die durchschnittlichen Veränderungsraten der Patentaktivitäten von Anmeldern im Bereich der Optosensorik aufgezeigt. Angaben zur Wachstumscharakteristik werfen viele Fragen auf:
Bild 8: Optosensorik: Wachstumsraten von Anmeldern (Quelle: PATOS,WPI/L; Auswertung SYMPAT) Die Gesamtzahl der in einem Bereich tätigen Anmelder und Erfinder kann als weiterer Früherkennungsindikator gewertet werden. Bei einer wachsenden Anzahl von Anmeldern und Erfindern sowie einer erhöhten Patentaktivität innerhalb eines Technologiefeldes liegt die Vermutung nahe, dass (a) völlig neue Problemlösungen aufgetreten sind und/oder (b) dem erforderlichen FuE-Aufwand entsprechende finanzielle Anreize und Chancen gegenüberstehen. Dies können erste Hinweise auf einen technologischen Schub (Technology Push) oder eine die technische Entwicklung befruchtende Erwartungshaltung und Aufnahmebereitschaft des Marktes sein (Market Pull). Für die in diesen Technologiefeldern tätigen Firmen kann es zur Existenzfrage werden, ob und zu welchem Zeitpunkt sie derartige Aufbruchsstimmungen erkennen und mittragen. Im Rahmen einer Analyse der Aktivitätsprofile von Spitzenforschern und/oder anerkannt innovativer Unternehmen können technische Veränderungen und Trends früh erkannt werden. Das Interesse gilt dabei in erster Linie den Personen und Unternehmen, die als Initiatoren von Paradigmenwechseln innerhalb technologischer Bereiche gelten. Nach der Diffusionstheorie geht von diesen frühen Innovatoren eine Ansteckungswirkung aus, die sich epidemisch auf eine immer größer werdende Zahl von Adaptoren der neuen Ideen und Denkansätze ausbreitet und damit die Grundlage für eine weite Verbreitung liefert. Sind solche Trendsetter erst einmal identifiziert, können ihre wissenschaftlichen Aktivitäten einer kontinuierlichen Beobachtung unterzogen werden. Das Beobachtungsspektrum ist dann allerdings um Veröffentlichungen, Vorträge und sonstige, über die Patentliteratur hinausgehende Aktivitäten zu erweitern. Patentklassen Die thematische Eingliederung von Patentanmeldungen erfolgt anhand des international vereinbarten Ordnungssystems der Internationalen Patentklassifikation (IPC) mit annähernd 60.000 Gliederungseinheiten. Nach dem Grad der technischen Vielfalt einer zum Patent angemeldeten Erfindung und dem Umfang der geltend gemachten Ansprüche ist die Angabe von bis zu 40 verschiedenen IPC-Symbolen möglich. Damit eignen sich die registrierten IPC-Klassen zur Bewertung der Komplexität von Erfindungen und ganzer Technologiebereiche und geben darüber hinaus Aufschluss über die Anwendungsschwerpunkte von Entwicklungen. Am Beispiel der Optosensorik zeigt Bild 9 das Ergebnis einer entsprechenden Auswertung.
Bild 9: Optosensorik: Anwendungsschwerpunkte 1976-85 (Quelle: PATOS,WPI/L; Auswertung SYMPAT) Ein Großteil der im deutschen Patentamt angemeldeten Erfindungen von optischen Sensoren beschäftigt sich mit Problemstellungen im Bereich der chemischen und physikalischen Analytik, der Längen, Flächen und Winkelmessung, dem Peilen und Orten sowie der Lichtmesstechnik. Eine kontinuierliche Beobachtung der Inventionsaktivitäten innerhalb definierter Technologiefelder ist für Unternehmen insbesondere unter dem Aspekt der zeitlichen Veränderungen interessant. Technische Wachstumsfelder können so relativ früh identifiziert und ihre Querverbindungen zu Nachbardisziplinen aufgedeckt werden. Eine systematische Suche nach noch völlig unbekannten Technologiefeldern, deren Keimzellen quasi im Verborgenen innerhalb verschiedener Sachgebiete liegen, wäre die konsequente Fortführung dieser Analyseaufgabe. Die wechselseitige Befruchtung etablierter Technologiebereiche bildet häufig den Anstoß für das Aufkommen völlig neuer Entwicklungslinien. Faust (1987) spürt solche Wachstumsfelder mit Hilfe der Cluster-Analyse auf, indem er für wachstumsstarke Technologiefelder anhand der registrierten Patentklassen sachgebietsübergreifende Vereinigungsmengen bildet. Damit wird sichergestellt, dass junge zukunftsträchtige Gebiete, die sich häufig zwischen den etablierten Feldern entwickeln, nicht mangels Masse in jeweils isolierten Einzelbewertungen unter den Tisch fallen. Neben der Unterstützung einer systematischen Suche nach neuen Technologien bietet eine laufende Beobachtung und Analyse abgegrenzter Technologiefelder Schutz vor Übergriffen aus Technologiebereichen, die bisher als nicht relevant erachtet wurden. So schlug sich die Diffusion der Elektronik in die verschiedensten Anwendungsbereiche in den Patentklassifikationen schon sehr früh nieder. Ein entsprechender Früherkennungsindikator hätte vielen Unternehmen rechtzeitig Anlass zu verstärkter Aufmerksamkeit geben können. Inwieweit die Auswertung von Patentklassen im Rahmen von Wettbewerberanalysen herangezogen werden können, zeigen Mullen et al. (1984) am Beispiel des Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche. Auf der Grundlage der bei WPI/L (Derwent) abgelegten Manual Codes - einer qualitativ über die IPC-Symbole hinausgehenden Patentklassifikation - identifizierten die Mitarbeiter der Bayer AG die Indikationsgebiete des Wettbewerbers und deren Forschungsrelevanz (Bild 10).
Bild 10: FuE-Schwerpunkte von Hoffmann-La Roche 1977-82 (Quelle: Mullen et al. 1984) Die Autoren führen weiter aus, dass eine dynamische Analyse der Manual Codes die frühzeitige Exploration von Trends, neuer Forschungsbereiche sowie eventueller Diversifikationsabsichten unterstützt. Cross-Referenz-Analysen Einen weiteren Analyseaspekt eröffnen die zur Beurteilung der Patentfähigkeit von Erfindungen herangezogen öffentlichen Druckschriften. Der amtlich ermittelte Prüfstoff dokumentiert den Stand der Technik im unmittelbaren Umfeld der jeweiligen Anmeldungen. Diese im Rahmen der Patentprüfung ermittelten Entgegenhaltungen und Verweise auf andere Patente und Nicht-Patentliteratur werden veröffentlicht und sind in einigen Patentdatenbanken recherchierbar. Die zitierten Fremddokumente geben Aufschluss über das Alter der Patentbasis und liefern Hinweise auf die Innovationsdynamik innerhalb der untersuchten Technologiefelder. Mit diesem Phänomen hat sich die Innovationsforschung auf Basis der Altersstruktur von Literaturzitaten schon Anfang der 70er Jahre beschäftigt (vgl. Solla Price 1970).
Bild 11: Cross-Referenz-Diagramm: Optoelektronik (Quelle: WPI/L; Auswertung SYMPAT) Für die Technik der Optoelektronik ist die Altersstruktur der zitierten Patentbasis in Bild 11 visualisiert. Die dort erfassten Cross-Referenz-Relationen sind
typisch für eine sich rasch entwickelnde Technik, die Anfang der 80er Jahre durch einen kräftigen Innovationsschub neue Entwicklungsimpulse erhielt. Damals
kam es bei Neuanmeldungen zu einer Häufung von Verweisen auf Patentschriften im Alter von nur ein bis drei Jahren. Zitieren Patentschriften eine relativ junge
Patentbasis, so wird die damit erfasste Entwicklung meist von einer grundlegenden Veränderung der technischen Lösungsprinzipien getragen. Das Alter der zitierten
Patentbasis lässt ebenso Rückschlüsse auf den Reifegrad von Techniken zu, wie die in SYMPAT standardmäßig ermittelten Konzentrationsmaße
für Anmelder und Erfinder sowie die registrierten Patentaktivitäten. Auf der Grundlage dieser Indikatoren kann eine Charakterisierung von Technologien nach dem
Stand im Lebenszyklus erfolgen (Bild 12). Bild 12: Charakterisierung des Entwicklungsstandes von Technologien Der Reifungs- bzw. Alterungsprozess von Technologien geht mit der Ausschöpfung des Leistungspotentials einher. Mit zunehmendem Alter und technischer Reife kommt es zudem zu Veränderungen der FuE-Produktivität, des technischen Risikos, der Anwendungsbreite und der wettbewerbsbestimmenden Eintrittsbarrieren (vgl. u.a. Servatius 1985). Zitationen können nicht nur als Indiz für die Innovations- und Veränderungsdynamik innerhalb von Technologiefeldern herangezogen werden, sondern auch für eine systematische Analyse der Verflechtungen von Forschung und Entwicklung. Im Rahmen von Cross-Referenz-Analysen werden die Beziehungsmuster zwischen Anmeldern aufgedeckt, so dass über den Anteil von Fremd- und Eigenzitaten unmittelbar auf die relativen Stärken der jeweiligen Patentpositionen und die verfolgten FuE-Strategien von Unternehmen und Ländern geschlossen werden kann. Als Basispatente von hoher technischer und ökonomischer Bedeutung gelten dabei Schriften, die einer Vielzahl anderer Patentanmeldungen im Rahmen der Patentprüfung entgegengehalten werden (hierzu Carpenter et al. 1981). Vielzitierte Patente begründen häufig technisch-ökonomische Domänen, die durch eine Reihe flankierender Defensivpatente abgesichert sind. Defensives, auf die Erhaltung von technischen und wettbewerblichen Vorteilen bedachtes Verhalten spiegelt sich in einem hohen Anteil an Zitaten wider, die auf Schriften ein und desselben Anmelders verweisen (Eigenzitate). Ein Eindringen in diese Patentfestungen kann Wettbewerbern nur mit einer offensiven Forschungs- und Patentpolitik gelingen, die direkt an den Fremdansprüchen ansetzt oder sie umgeht. Die Kenntnis der Relation von Eigen- zu Fremdzitaten trägt zur Objektivierung einer qualitativen Bewertung von Patenten bei, zumal ein hoher Anteil von Eigenzitaten einen entsprechend hohen Stellenwert der Erfindung zunächst nur für den Anmelder unterstreicht. So ist die Patentpolitik japanischer Unternehmen in vielen Bereichen durch ein extrem defensives Verhalten gekennzeichnet, was sich in einem Netzwerk gegenseitiger Querverweise mit hohen Zitationsraten für einzelne Schriften manifestiert. Diese hohen Zitationsraten als Qualitätskriterium für japanische Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zu interpretieren, wäre sicher voreilig, nicht aber ungewöhnlich, wie die oben genannte US-Patentstudie (Narin, Olivastro 1987) sowie die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen des BMFT belegen. Defensive und offensive Patentstrategien einschließlich der inhaltlich verfolgten Stoßrichtungen werden durch Zitationsanalysen transparent, sofern diese nach zitierender und zitierter Institution differenzieren. In Bild 13 ist ein Auszug aus dem mit SYMPAT analysierten Netzwerk zitierter und zitierender Patentschriften zu dynamischen Halbleiterspeichern wiedergegeben.
Bild 13: Cross-Referenz-Struktur: Wer zitiert wen? (Quelle: PATDPA; Auswertung SYMPAT) Den darin aufgeführten Dokumenten der Firmen Hitachi, Mitsubishi und NEC wurden bei der Patentprüfung Schriften der Siemens AG entgegengehalten. Am unteren Bildrand sind noch drei Eigenzitate von Siemens aufgeführt. Solche Verflechtungstabellen oder -matrizen unterstützen Reflexionen über die von Anmeldern verfolgten Patent- und Forschungsstrategien.
5. FazitDie Auswahl praktischer Anwendungsbeispiele zeigt, wie universell Systematische Patentanalysen zur Fundierung von Technologiestrategien eingesetzt werden können. In der praktischen Arbeit mit dieser Methode hat sich gezeigt, dass zunächst mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Diese Erfahrungen könnten Zweifel am Nutzen von Patentanalysen nähren. Doch diese Zweifel sind schnell zerstreut, wenn diese Art von Analysen in erster Linie als Fragengeneratoren zu technischen Problemkomplexen verstanden und für diesen Zweck gezielt eingesetzt werden. Systematisch aufgewirbelte Fragen erzeugen dann ein Potential für Antworten, die nicht bereits beim ersten Problemkontakt auf der Hand liegen. Eine in Verlauf des kritischen Dialogs zunehmende Fragenqualität hebt auch die von Experten zu liefernden Antworten auf ein höheres Niveau. So gewinnt auch der Fachmann Einsichten in Themenkreise, die ihm aufgrund und in ihrer Komplexität und Tragweite bisher vielleicht verschlossen blieben. In der Notwendigkeit "kreativ fragen" zu können, denn die Spezialisten schmoren oft im eigenen Saft" sieht denn auch Hartmut Fetzer, der FuE-Chef der Nixdorf Computer AG, eine wichtige Voraussetzung für die Übernahme einer aktiven und führenden Rolle im technologischen Wettbewerb. Insbesondere ebnet aber auch die gezielt herbeigeführte Auseinandersetzung mit heterogenen Sichtweisen, vertreten etwa durch die Unternehmensführung, die Strategischen Planer, das Forschungs- und Entwicklungsmanagement oder anderen für die Unternehmensentwicklung verantwortlichen Instanzen, den Weg zu neuen Erkenntnissen und einem umfassenden Problemverständnis. In der Unterstützung dieser interdisziplinären Diskussionen im Sinne einer dialektischen Entwicklung von ausgewogenen und konsensfähigen Unternehmenspolitiken ist deshalb der wesentliche Nutzen von Strategischen Patentanalysen zu sehen. Ihr Wert als bloßes Werkzeug der Unternehmensplanung wird dagegen eher zweitrangig bleiben.Positive Erfahrungen mit Systematischen Patentanalysen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gros der Unternehmen eher ein Defizit an relevanter Information beklagt. Befremden löst in diesem Zusammenhang die nur zögernde Bereitschaft zur Online-Nutzung von Datenbanken aus. Mit dem Ausbau der Informations- und Kommunikationsinfrastruktur wird jedoch die Attraktivität elektronisch recherchierbarer Informationen in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Damit werden Patent-Onlinerecherchen und Patentanalysen verstärkt auch in klein- und mittelständischen Unternehmen zum Einsatz kommen. LiteraturAlbach, H., Hahn, D., Mertens, P. 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